Erzählung: Das Gottesurteil in Rottenbuch

Anmerkung: Diese Geschichte erschien erstmals 1936 im “Sonntagsblatt für die katholische Familie”, Nr. 48. Verfasserin: Gabriele Ruf.

Zu Rottenbuch vor dem Rathaus war am öffentlichen Pranger der Block hergerichtet, auf dem die Theresia Breitenmoserin von Ammergau ihre rechte Hand lassen sollte. Aus dem Umkreis strömten den ganzen Vormittag Leute zu, das grause Schaustück mitanzusehen.

War doch seltsam: Die Theres, ein kränkliches, blasses Ding, hatte einen bildsauberen Bruder, den Schnitzer-Toni. Der war versprochen mit der schönen Beata Amrain, die er in Bälde ehelichen wollte. Die Theres freute sich schon darauf, daß ihr die kräftige Schwäherin, ihre beste Schulkameradin, ein Großteil der schweren Hausarbeit abnehmen werde.

Die Kirche von Rottenbuch.

Nun kam vor etlichen Tagen wieder, wie schon oft, wenn der Toni gerade außer Hause war, die alte Karstin, deren leichtfertige Tochter, die rote Afra, schon längst vergeblich dem Schnitzer Toni nachstieg, den sie um jeden Preis zum Manne haben wollte. Immer wieder hatte sie der Theres mit diesem Anliegen zugesetzt. Beschwörend sprach sie ihr auch heute wieder zu, den Bruder von der Amrain abzubringen und ihm die Heirat mit der Afra einzureden. Die Theres hatte einen schweren Stand: innerlich wehrte sie sich mit allen Fasern gegen die Karsten-Sippe; aber die Angst vor der unheimlichen alten, der man im stillen allerhand üble Dinge nachsagte, schüchterte sie ein. So redete sie sich eben wieder auf den Bruder hinaus. „Er will hat die Afra nit. Seiner Beata ist er mit Herz und Seele zugetan, und in Ewigkeit, denk ich, wird er nimmer von ihr lassen. Beide sind schon so lange versprochen und stehen vor dem Aufgebot; da läßt sich nichts mehr ändern.“

„Ich wüßt ein unfehlbares Mittel“, wisperte die Karstin zudringlich. „Du bräuchtest nur des nachts um die zwölfte Stunde ein Rehkitz schlachten und dessen Herzblut dem Bruder dreitropfenweis in die Morgen- und Abendsuppe tun. Dann wird rasch die unsinnige Lieb zur Beata in ihm erkalten und in Abneigung umschlagen.“

Erschrocken fuhr die Theres auf und hielt sich entsetzt die Ohren zu. „Nein, zu solcher Gottlosigkeit geb ich mich nit her!“ Wütend verließ die alte Karstin das Schnitzerhaus, einen Fluch auf den Lippen. Und in diesem Augenblick tauchte auch der rote Haarschopf ihrer Tochter in der Türe auf.

Anderntags war dem Ammergauer Wildmeister, der dem Kloster zu Rottenbuch hörig war, sein mühsam aufgezogenes Rehkitzlein gestohlen. Alsbald wußte die rote Afra dem erregten Dorfe zu erzählen, wer die Diebin sei. Die Breitmoserin habe mit dem Rehkitzblut ihren Bruder behexen wollen, damit sie nicht durch eine Schwäherin aus dem Herz und Haus ihres Bruders verdrängt werde.

Und wahrhaftig: schon nach einer Stunde zog der Wildmeister das blutige Fell des gestohlenen Kitzleins unter dem Breitenmoserischen Stiegenhaus hervor. Mochte die Theres noch so tränenvoll ihre Unschuld beteuern: sie wurde schandsam abgeführt und nach Rottenbuch ins Verwahr gebracht.

Unglücksweise war gerade der Propst des Chorherrnstiftes und oberster Richter, Herr Suitbertus von Innrain, schon seit dem Maimonat im Salzburgischen drinnen zu Besuch beim Fürstbischof. Als sein Vertreter maßte sich der Klostervogt das Recht zu, die Klage des Wildmeisters zu richten. Wenigstens einmal wollte er den obersten Herrn spielen, auf dem Richterstuhl sitzen und das Urteil gegen die Schuldige schleudern. Und das lautete: Der Jungfer wird die rechte Hand abgehauen
für die Untat!

Unter feierlichen Umständen, wobei er sich eines jammervoll verdrehten Latein bediente, ließ der Vogt die rote Afra Karstin auf die Schwurhand eiden, daß sie deutlich mitangesehen habe, wie die Theres das Eingeweid von dem Rehkitz ihrer Katz zum Fressen hingeschmissen.
Und heute also wurde das Urteil vollzogen. Der Freimann kam in seiner Henkerstracht aus der Gemeindestube im linken Klosterflügel. Unternehmend trug er das scharfe Beil geschultert, und vier Freiknechte folgten ihm. Ein galliges Lachen hatte der Henker im wüsten Gesicht. „Was man für eine Schererei haben muß wegen so einem schiechen Kramp! Mein Becher und Würfelspiel wäre mir lieber.

Kommt ja doch bei der ganzen Hatz kein schimmliger Batzen heraus. Deswegen macht’s nur geschwind, Leut! Raus aus dem Loch.“
Aber als sie um die Ecke bogen, um das Verwahr aufzusperren, stund ein mächtiger Leuthaufen davor, und mitten heraus hörte man eine aufgeregte Frauenstimme: „Ums Gottstausendwillen, Herr Vogt, vergunnt es ihr doch als einzige Gnad: laßt sie zuvor noch in die Klosterkirche!“
Wild schrie der Vogt: „Wird sie vielleicht geköpft? Sie lebt ja nachher noch und kann noch lang in d’Kirchen gehen.“

Verdutzt stand der Henker und schaute sich den Auftritt an. „Sakra, sakra, ist das ein saubers Weibsbild!“ grinste er mit aufgerissenen Augen. Die Beata aber stand unerschrocken vor dem gestrengen Vogt und wußte selber nicht, wo ihr der Mut zu solcher Rede herkam. „Herr Vogt“, fuhr sie in ihren Bitten fort, „nur noch ein einzigsmal laßt meine Schwäherin ihre beiden Händ falten vor dem Muttergottesaltar. Nachher – kann sie’s ja eh nimmer –“ Sie unterdrückte gewaltsam ihr
Schluchzen und gab sich einen Ruck: „Seid kein so harter, unrührsamer Mensch!“ flammte sie ihn an.

Heutiger Muttergottes-Altar in der Pfarrkirche Mariae Geburt.

Toni, der neben ihr stand, stupfte die Beata, doch still zu sein. Was fiel dem Dirndl ein, redete sich ja selber um den Kopf!
Der Vogt schien zu überlegen. „Ich durchschau dich, Füchsin, du schlaue. In die Kirch möchtest das Luder bringen und sie dann heimlich verschwinden lassen, daß man sie nimmer schinden könnt.“ Er lacht mit gelben Zähnen. „Jetzt verinteressiert es mich grad, wie du das anstellen willst.

Also geh in d’Kirchen mit deiner sauberen Schwäherin – aber wir alle gehen mit!“ „Jawohl!“ schrie der Haufen, „uns kömmt sie nit aus!“

Der Vogt trat zur Seite, winkte den Freiknechten und stieß die Umstehenden grob zurück.
„Raus jetzt da!“ schrie er. Totenstille. Eine schwere Tür wurde aufgerissen, zwei Freiknechte packten zu und zogen die Verbrecherin heraus aus dem düsteren Verwahr.

O heiligster Jesus!“ stammelte Toni. Und Beata sank schier um vor Schrecken. Denn die da herauskam, dieser Elendswurm von einem Menschen, hatte das Gesicht einer Toten; das blonde Haar der Theres war schlohweiß geworden. „O Schwester!“ rief Toni erschüttert und eilte auf sie zu; aber die Knechte stießen ihn zurück.

Kaum daß die Theres sich mit einer leisen Kopfbewegung nach dem Bruder wandte; dann sanken ihre Lider wieder schlaff über die großen Augen und das Gesicht blieb leichenblaß wie ehzuvor.
„Und die hat ihren Bruder kein Ehweib vergunnen wöllen, die wüste Krott, die abscheuliche!“ höhnte es nun aus der heftig schreienden Menge.
Sank nicht die also Beschimpfte noch mehr in sich zusammen? Fuhr nicht die Scham wie ein rotes Tuch ihr über die wachsgelben Wangen? Nur noch ein armseliges Klümplein war es, das man da zum Richtblock schleppte.

Der sanfte Toni hatte sich umgewandt mit tränennassen Augen, böse Zornadern standen ihm auf der Stirne. Er ballte die Fäuste, um auf die frechen Spötter loszuschlagen – aber Beata umklammerte seinen Arm und zog ihn vorwärts. „Wir müssen bei der Theres bleiben!“
Die alte Klosterkirche sah mit ihren halbblinden Fensteraugen verwundert auf den seltsamen Zug, der sich da dem Hochaltare näherte: voraus schritt wie ein roter Teufel der Henker, dann kamen zwei Freiknechte, jeder mit dem Strick in der Hand, an dem in ihrer Mitte das Opfer wankte. Von rückwärts her wurde die Theres durch Beata und ihrem Bruder gestützt, was auf ihren Fersen folgend der grimmige Vogt überwachte. An Tonis Seite schritt mit siegreichem Lächeln die Afra; in
seiner Angst um die Schwester merkte er es nicht.

Dann aber drückte und schob in großen Haufen das neugierige Volk sich nach, sprang über die Kirchenbänke und suchte durch die Seitengänge sich den Rang abzulaufen, um am schnellsten vorne zu sein.

Die Treppen vor dem Altar der Pfarrkirche Mariae Geburt in Rottenbuch.

An den Altarstufen hieß man die Verurteilte niederknien. Sie tat es wie im Traum. Aber die festgebundenen Hände konnte sie nicht falten. Da flüsterte Beata resolut dem Vogte zu: „Ihr verstattet doch, daß ich die Stricke lös?“ Und schon knöpfte sie mit flinken Fingern den dicken Knoten auf.
Seltsamerweise widersprach der Vogt mit keinem Wort. Denn er machte gerade eine recht unliebsame Entdeckung: hinter dem Glasverschlag in der ersten Empore kniete wahrhaftig der Stiftspropst der Augustiner-Chorherren. Herr Suitbertus von Innrain, den pelzverbrämten Reisemantel noch um die Schultern. Und eine steile Unmutsfalte stand dem hochwürdigsten Herrn zwischen den kühn geschwungenen Augenbrauen.

Der Vogt ärgerte sich. „Muß mir aber auch grad die Malefiz-Nocken mit ihrer Kirchengeherei dazwischenkommen. Wär sonst die ganze Bagatelle schon vorbei und erledigt. Jetzt hab ich das G’frett!“ Er biß sich schier den Schnauzbart ab vor lauter Wut. – Die Theres aber betete, was die Schwäherin ihr vorsprach. Mit einer ungewöhnlichen Inbrunst blickte Beata zu der Gottesmutter auf, als müßte sie dem Holzgebilde Leben und menschliches Fühlen einhauchen. Aber Theres hatte den Kopf tief gesenkt. Mit einem Male hielt Beata inne in ihrem lauten Gebet. „O Gott – die Liebe Frau!“ schrie sie und schlug die Hände ineinander. Da blickte auch Theres langsam in die Höhe und sah, wie die Madonnenstatue zitterte; sie zitterte so heftig, als ob ein ganzer Söldnertroß mit Pferden und Wagen
über den Boden stampfte – und rührte sich doch keine Seel, da alles atemlos schaute. Noch heftiger zitterte die Gottesmagd, der himmelblaue Sternenmantel rauschte, und das goldene Krongeschmeide mit den edlen Steinen schwankte auf ihrem Scheitel.

Da kam es aus der Theres wie ein einziger Schrei: „Heilige Gnadenmutter – erbarm dich
meiner! Hilf!“ und ihre
dürren,
abgemagerten
Arme reckten sich in
heißer Qual der Himmlischen entgegen.
Da kam es aus der Theres wie ein einziger Schrei: „Heilige Gnadenmutter – erbarm dich meiner! Hilf!“ und ihre dürren, abgemagerten Arme reckten sich in heißer Qual der Himmlischen entgegen.

Ein feines hellen Klirren – das goldene Muttergotteskrönlein sprang vom heiligsten Haupte, schlug auf den Altartischrand, hüpfte wie ein Sonnenkränzlein
über die ausgestreckte Rechte der Flehenden und saß mit einem scharfen Ruck um ihren Handknöchel fest! Und die Liebe Frau stand wieder still und ruhig, als wäre sie angewachsen.


Beata war aufgesprungen. „Ein Gottesurteil – unschuldig ist sie!“ schrie das Mädchen freudetrunken. „Die heilige Jungfrau hat’s gezeigt!“

„Auch das noch!“ knurrte scheu der Vogt und strich sich den Schweiß aus der Stirne. Ein Freiknecht packte den Arm der Theres und zerrte an dem Geschmeide: „Her mit der Kron!“ Aber so sehr er auch riß, der Reif saß fest wie angeschmiedet.

Da kam der Propst. Der Mantel war ihm von den Schultern geglitten und zeigte nun das weiße Chorherrengewand. Segnend erhob er die ringgeschmückte Hand gegen die so wunderbar Gezeichnete, und Theres bot dem hohen Herrn kniend ihren Arm entgegen, dessen Gelenk das gehämmerte Gold umspann. Gerade die Stelle war es unter der rechten Hand, die sich der Henker schon zum Schlage ausgesucht. –
Was gehen hier für Dinge vor ohne mein Wissen und Befehl?“ wandte sich hoheitsvoll der Propst dem Vogte zu. Der trotze auf: „Der Propstenstuhl war lang genug verwaist: da hab ich selber halt nach Recht und Fug geurteilt – “

„Darüber sprechen wir uns noch, du Übereifriger“ entgegnete streng der Klosterherr. Doch diese Unglückliche hier, der Gottes Allgerechtigkeit so wunderbar das Urteil selber sprach – frei soll sie sein und ledig aller Strafe! Und unantastbar unter meinem Schutze solle sie stehen, bis ich die
Untersuchung ihres Rechtvergehens selber durchgeführt.“

Wie neugeschenktes Leben flutete es bei diesen Worten durch den armen Elendskörper der Theres. Die hellen Freudenzähren stiegen ihr in die großen Augen, und demütig dankbar küßte sie den Ärmelsaum des hohen Herrn. Und sieh, als der Propst sich zur Begnadigten herniederbeugte, um ihr die Muttergotteskrone
abzunehmen – da ließ sie sich so leicht wie eine Schwanenfeder vom Gelenke streifen! Nur ein dunkelrotes Mal in Strahlenkronenform blieb ringsum dem Arm der Theres sichtbar eingeprägt.

Wie staunte da das Volk. Und alle Unbill wandte sich mit eins dem Vogte zu. „Glaubt Ihr’s nun endlich, daß die Dirn nicht schuldig ist?“ zischelte ihm der und jener zu. Und gar die mitleidsvollen Weiberleute, die konnten nicht genug sich tun des Lobes über die Bravheit der so zu Unrecht Geplagten. Mild lächelte der Propst ob ihres reichlich spät erwachten Rechtsgefühls. Er kannte ihre menschlichen Schwächen.

Die Breitenmoserin aber konnte der Lieben Frau nicht genug auf den Knien danken für ihre Rettung aus so großer Not. Und Toni und Beata, die ihr zur Seite knieten, strahlten vor Glück. Verärgert zogen die Freimänner ab und langsam verlief sich auch die Menge. Die rote Afra aber stand glühend wie ein Schwefeldocht, der einen Sack voll Pulver in Höllenkrach und Tod verwandeln soll. Und schlug nun einen Lacher auf, so gell im stillen Kirchenraum, daß es die Leute schauderte. „Haha –“ schrie sie und schüttelte sich wie toll, „was – Gottesurteil! Schad um das geschonte Henkerbeil! Aber die Schand und die weißen Haar – die bleiben der
Scheinheiligen doch, hahaha!“ Ein wilder Triumph stand in ihren giftgrünen Augen.

Als der Toni gegen sie auffahren wollte, gab sie ihm einen Puff und schrie ihn haßerfüllt an: „So nimm die andere, du hirnvernagelter Depp, und renn mit ihr ins Unglück und in die Schand.“ Jäh brach sie ab und starrte dem Propst in die Augen – und sah darin, in diesem klugen, durchbohrenden Blick der bis auf ihren Seelengrund ging –, daß er ihre Schuld erkannte. Der Haß hatte sie verraten.

Da duckte sich die Rote und wich scheu zur Seite – und verschwand in rasender Eile unter em Volkshaufen, der die Kirche verließ. Schweigend gebot Herr Suibertus von Innrain den dreien, ihm ins Kloster zu folgen. Auf dem Kirchplatz verlief sich langsam die Menge, blieb in Häuflein immer wieder auf den Gassen und Plätzen stehen, um das gehabte Erlebnis gründlich durchzuschwätzen. Und die Bäcken und Wirtsleute von Rottenbuch hatten einen guten Tag. –

Stunden später klapperte ein Klosterknecht auf Schusters Rappen den nämlichen Weg zurück, den die Theres vor drei Tagen so leidvoll schwer gegangen war. Er mußt Botschaft bringen an den Wildmeister Herrn Heinrich Weitprecht, alsogleich vor Herrn Suitbertus zu erscheinen. Und hatte den ferneren Geheimauftrag, die Afra Karstin samt deren Mutter auszuheben in ihrem Wiesennest und sie nach Rottenbuch mit ins Verwahr zu bringen.

Denn solches hatte der Hochwürdigste durch Kreuz- und Querbefragen seiner drei Schützlinge, insonderheit der Breitenmoserin unter vier Augen schnell herausgefunden: daß die Afra Karstin in der Tat die wirkliche Übeltäterin gewesen war. Lächeln mußt der hohe Herr, wenn er bedachte, was die irdische Lieb doch für possierliche Sprünge macht, um ihr Ziel zu erreichen. Hat sich da die Afra, um den gutmütigen Toni für sich zu gewinnen, ganz einfach einen krummen Weg ausgedacht, da er ihr auf dem geraden nicht entgegenkam; hat die Schwester als Werkzeug benutzt, um sie und den Bruder in Schande zu stürzen und
dadurch die schon versprochene Liebste vom Toni wegzubringen.

Die schlaue Hexe! Brauchte ja nur das blutige Fellchen des Rehkitzleins, das sie zur Nachtzeit selber heimlich umgebracht, der ahnungslosen Theres unter der Kirchzeit ins Haus zu schmuggeln … Aber als der Fronknecht sich schon seinen Strick in Bereitschaft richtete, die Wildkatzpfötchen der Afra dreinzuschnüren – war der rote Vogel samt der Alten ausgeflogen: vor etwa einer Stunde Sack und Packes fortgezogen mit einem Marketenderwagen, wie sie so manchesmal in selbigen Unruhläuften den Weg nach Augsburg durch das Dörflein nahmen.

Weise lächelte Herr Suitbertus zu dieser Vermeldung und sprach: „Sie ist noch schlauer, als
ich schon geahnt, die freche Lügenzottel, und gibt uns durch die Flucht nun selber das Geständnis
ihrer Schuld. Dem Finger Gottes aber wird sie nicht entgehen.

So ziehet nun in Frieden heimwärts, ihr Getreuen, und haltet in Zukunft ebenso zusammen, wie eure Treue jetzo sich bewähret hat. – Dem Herrn Weitprecht aber und dem Vogten will ich eine Denkschrift geben, so deutlich klar, daß sie hinfürder nicht von jeder frechen Dirne sich beschwätzen
lassen. Dafür stehe ich euch gut!“ –

Die dreie wanderten dem Heimatdörflein zu. Sie sprachen nicht gar viel, wie es beim Landvolk so der Brauch, wenn eine heimlich schamvolle Scheu vor der inwendigsten Seelenstimme ihnen den Mitmenschen gegenüber den Mund verschließt.
Die Theres war überselig. Auf dem ganzen Heimweg ließ sie Beatas Hand nicht aus den Fingern; so dankte sie ihr stumm den vom Vogt erbetenen Kirchgang, der allein die glückliche Wendung gebracht.

Wer aber da noch wissen will, wie sich der Theres Leben fernerhin verlief, der höre: ihre gottgezeichnete Hand, die nun für alle Zeiten das rote Eindrucksmal der Muttergotteskrone behielt, wollte sie nimmermehr zu schmutzgewöhnlicher Arbeit leihen. Ganz kurze Zeit nach ihrer Freilassung nahm ihr die Schwäherin alle Mühe ihres Haushaltes ab, und als ein friedlich Dreigespann hauseten sie zusammen. Die Theres war die meiste Zeit dem Bruder in der Werkstatt zur Hand.
Und wie sie einstmals, als er mit Ware über Land gegangen, seinen Schnitzveitel so von ungefähr in die Rechte nahm und ein kleines Stücklein Lindenholz, andächtigen inneren Glühens voll, gar sorgsam schnitt und kerbte – sieh da, was sie geschaffen hat: ein winzig kleines Herrgottsbild mit ausgestreckten Armen, nicht größer im Gesamtmaß als das weiße Einzelblättlein einer Margaretenblume.

Die Theres staunt mit heißen Wangen, küßt andachtsvoll die eigene so wunderbar geweihte Hand – und läßt nun nimmer von dem gottgewollten Handwerk, da auch der Bruder ihm nach seiner Rückkehr voll Erstaunen seinen Lobspruch zollt. So schuf sie immer neue Christuskörper mit der Dornenkrone, leidvoll das Haupt im Tod geneigt. Und so winzig klein sie waren, daß sie grad auf das Kreuzlein einer Betschnur paßten – so ausdrucksvoll und heilig tröstsam waren sie. Ehrfürchtig mußte stets der Toni staunen, wenn er ein solch Gebild in seine Hände nahm; für grobe Mannesfinger war das eine undenkbare Leistung. Bald herrschte nach den kleinen Herrgöttlein der Theres eine große Nachfrag. Für Ordensrosenkränze und auf Sterbekreuze mußte sie eins ums andere schnitzen. Man nannte sie nur noch die Hergottschnitzerin. Noch manches Jahr saß sie mit dem Bruder in der Werkstatt, den früh gebleichten Scheitel über ihre feine Schnitzerei gebeugt, eine junge Greisin, deren seelentiefe, große Augen langsam schon hinüberblickten in die andere Welt, aus der ihr hundertfach aus Holz geschaffener Schmerzensheiland lichtvoll klar in aller Herrlichkeit ihr schon entgegenwinkte.

Ende