Festvortrag von Historiker Dr. Johann Pörnbacher zu Beginn der Feiern “950 Jahre Stift Rottenbuch”

Am Mittwoch, 27. Dezember 2023, feierten die Pfarrei und die Gemeinde Rottenbuch den 950. Jahrestag der Gründung des ehemaligen Augustiner-Chorherrenstiftes. Dieser Tag hat für den Ort eine herausragende historische Bedeutung: Am 27. Dezember 1073 wurde das Kloster Rottenbuch erstmals urkundlich erwähnt, als die Besitzungen von “Bebingoe” an das Kloster “Raitenbuech” geschenkt wurden.

Aus diesem Anlass wurde am Abend des 27. Dezembers ein Pontifikalgottesdienst mit S. E. Weihbischof Rupert Graf zu Stolberg zur Erinnerung an den Gründungstag des Augustiner-Chorherrenstiftes in der ehemaligen Stiftskirche gefeiert. Der Kirchenchor und das Orchester unter der Leitung von Kapellmeister Florian Löffler gestalteten den Gottesdienst musikalisch mit der Pastoralmesse von Karl Kempter.

An diesem Tag feiert die Kirche auch das Fest des Apostels und Evangelisten Hl. Johannes. Traditionell wird an diesem Tag der mitgebrachte Johanniswein gesegnet. Nach dem Festgottesdienst luden die Gemeinde und die Pfarrei in den Rathaussaal ein, wo der renommierte Historiker Dr. Johann Pörnbacher von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften einen Festvortrag mit dem Titel “Vom romanischen Tympanon zum Renaissancefries – Rottenbuch seit seiner Gründung bis in die frühe Neuzeit” hielt.

Video des Vortrages von Dr. Johann Pörnbacher

Hier finden Sie einen Bericht über den Vortrag in den Schongauer Nachrichten.

Transkript des Vortrages: “Vom romanischen Tympanon zum Renaissancefries – Rottenbuch seit seiner Gründung bis in die frühe Neuzeit”

Einleitung

Kirchtürme sind Landmarken in Städten und Dörfern. Nähert man sich von Norden her Rottenbuch, sieht man von weitem die markante Zwiebelhaube auf dem 67 Meter hohen Turm, dessen 9 Meter breite Basis mit dem Tuffsockel in die Romanik zurückgeht. Hier sieht man: eine wichtige Kirche, ein bedeutendes geistliches Zentrum steht hier.

I. Die Anfänge

Damit sind wir bei den Anfängen des einstigen Augustinerchorherrenstifts, das heute vor 950 Jahren am 27. Dezember 1073 gegründet wurde. Bei der Urkunde handelt es sich um die Erstnennung von Ort und Kloster, die beide weiter zurückreichen. Immerhin existierten 1073 schon 31 Gehöfte und eine Kirche mit Marienpatrozinium. Aber die rauhe Gegend war lange nicht besiedeltes Welfengebiet, während Peiting als Siedlung bereits in der Bronze- und Römerzeit belegt ist. Heute werfen wir einen Blick auf die geschichtlichen Begebenheiten Rottenbuchs, die nicht belanglose Regionalgeschichte sind, sondern über die Jahrhunderte eine große Rolle spielten. Die Chorherren befanden sich in regem Austausch mit Kaisern, Päpsten, Königen und Herzögen, darunter eine Reihe klangvoller Namen.

Gut 120 Jahre vor der eigentlichen Gründung des Klosters entstand um 950 die Zelle Raitenpuch durch den Welfen Eticho. 1070 wohnten Eremiten in Rottenbuch, die mit der seligen Herluka von Epfach in Verbindung standen, und die einsetzende Kirchenreform unterstützten. Rottenbuch war ein Zentrum für den richtigen Weg der Kirche. Allerdings erlebte das Kloster auch Zeiten des Niedergangs. Über die Rolle Rottenbuchs in der Kirchenreform des 11. und 12. Jahrhunderts hat Jakob Mois 1953 eine bahnbrechende Studie zur Ordensgeschichte der Augustinerchorherren verfaßt.

Mit den Schenkungen Herzog Welfs IV. (1030/40-1101) und seiner Gemahlin Judith wurde aus der Eremitenzelle ein Stift für Kleriker nach der Regel des heiligen Augustinus. Früh treten wichtige Personen in Beziehung zu dem jungen Kloster, so Bischof Altmann von Passau (1065-1091), ein Freund der Reformpäpste Alexander II. (1010-1073) und Gregor VII. (1025-1088), Verfechter einer von Käuflichkeit und Sittenverfall befreiten Kirche. Gemeinsames Leben und Verzicht auf Privateigentum nach den Weisungen Papst Gregors VII. sollte nicht nur für Mönche, sondern auch für Kleriker von Dom- und Stiftskirchen gelten.

Doch Bischof Altmann stieß in seiner Diözese bei Priesterschaft und Adel, der an seinem Eigenkirchenrecht festhielt, auf Widerstand. Deshalb erachtete er es für notwendig, daß im Einflußbereich des Baiernherzogs Welfs I. ein Stützpunkt kirchlicher Erneuerung geschaffen werde. In seiner Abgeschiedenheit und im Schutz der Welfenburg Peiting schien Rottenbuch dafür geeignet. Wenig später brach der Investiturstreit, der offene Kampf zwischen Papst Gregor VII. und der deutschen Reichskirche unter Kaiser Heinrich IV. um das Recht der Bischofsernennung aus. Altmann von Passau und weitere papsttreue Bischöfe wurden aus ihren Diözesen vertrieben und fanden in Rottenbuch Zuflucht. Stiftsdekan Manegold von Lautenbach unterstützte sie, auch die fromme Herzogin Judith kümmerte sich um den Ausbau Rottenbuchs. Zum Zeichen der Kirchentreue übereigneten Welf und Judith das Stift dem heiligen Petrus, und Papst Urban II. nahm es 1090 und 1092 unter seinen Schutz.

Rottenbuch selbst gründete neue Chorherrenstifte, etwa Berchtesgaden 1102 und Baumburg 1105, Rolduc in den Niederlanden 1112 und Dießen am Ammersee 1114. Die Klöster Dietramszell, Beuerberg und Bernried gehörten zum Rottenbucher Reformkreis. Stiftsdekan Manegold von Lautenbach wurde Propst im elsässischen Marbach. In Europa war Rottenbuch mit den Reformklöstern St. Rufus in Avignon, San Frediano in Lucca sowie mit dem Lateranstift in Rom verbrüdert. Rottenbuch stand ebenfalls mit den Benediktinerabteien Hirsau, St. Blasien und Schaffhausen in Verbindung. Die theologische Diskussion bestimmte Gerhoh von Reichersberg, der aus Polling stammte, an der Domschule in Augsburg unterrichtete und 1120 nach Rottenbuch flüchtete, wo er, überzeugt von dem funktionierenden Gemeinschaftsleben, 1124 eintrat.

In den ersten Jahrzehnten seines Bestehens war Rottenbuchs Verhältnis zum eigenen Bistum distanziert, weil die Bischöfe Anhänger des Kaisers und der Gegenpäpste waren. Erst der reformorientierte Bischof Otto I. von Freising (1138-1158), ein Zisterzienser, würdigte die Rottenbucher Anstrengungen und erhob Propst Rudolf zum Archidiakon im Ammergau und im Werdenfels bis Mittenwald, ein Amt mit besonderer seelsorgerlicher Aufsicht. Von den seltenen erhaltenen Stücken aus dieser Zeit sehen Sie die aufwendige Elfenbeinschnitzerei eines Evangeliars (Bild 2 Elfenbeindeckel) und eine Miniatur eines Lektionars (Bild 3 Initiale) mit der Inschrift „Liber generationis Jesu Christi filii David“ – ‚Stammbaum Jesu Christi, des Sohnes David, des Sohnes Abraham‘. Aus Anlass des Jubiläums hat die Bayerische Staatsbibliothek, wo die beiden Manuskripte aufbewahrt werden, kostenlos ein Digitalisat zur Verfügung gestellt. Dafür sei hier Herrn Dr. Wolfgang Ikas von der Handschriftenabteilung gedankt, der dies ermöglicht und veranlaßt hat.

Wertvollstes Kunstdenkmal aus der Frühzeit Rottenbuchs ist die Stiftskirche mit der noch sichtbaren romanischen Form der kreuzförmigen Anlage (Bild 4 Stiftskirche von oben), dem Tuffmauerwerk des Querschiffs, den Mauern der Seitenschiffe, der Westwand des Mittelschiffs und dem bereits erwähnten Sockel des freistehenden Glockenturms. Das neue Münster, eine dreischiffige Basilika mit Querschiff und östlichen Nebenchören, das der Gottesmutter geweiht wurde, entstand zwischen 1088 und 1125. Von den romanischen Bauteilen weiß man durch eine Vermessung und Beschreibung des Landesdenkmalamtes aus dem Jahr 1962. Von den Spuren des gemalten Tympanons am Innenportal erschließt sich (Bild 5 Welfengenealogie), daß eine Vorhalle mit den heutigen Ausmaßen bereits am romanischen Bau existierte, wie wir es auf dem Bild mit Welf I. sehen. Als Klosterkirche diente das sogenannte Altenmünster bis zur Säkularisation im Jahre 1803.

II. Das Verhältnis Rottenbuchs zu Welfen und Hohenstaufen

Anders als etwa Steingaden mit seiner engen Bindung an die Welfen, war Rottenbuch kein Hauskloster dieser Familie. Natürlich bedeutete die schützende Hand der Welfen und deren Güterschenkungen viel, aber in gewisser Weise hatte das Kloster überregionale Bedeutung. Durch die Verbindung mit Bischof Altmann von Passau und der Widmung des Klosters an den Heiligen Petrus in Rom erreichte Rottenbuch eine führende Stellung in der Kirchenreform. Die Gründerfamilie, beginnend mit Welf IV. (+ 1101), dann Welf V. (+ 1120), Heinrich dem Schwarzen (+1126), und Heinrich dem Stolzen (+ 1139) dotierten Rottenbuch mit Besitzungen in Südtirol und im Schwäbischen bis Mindelheim und Kaufbeuren. Die Hofmark umfaßte Rottenbuch, Böbing, Schönberg und Wildsteig. Welf VI. hat wenig für Rottenbuch getan, ihm lag die 1147 von ihm gegründete Prämonstratenserabtei Steingaden mehr am Herzen, ähnlich wie das von ihm 1168 in Memmingen gegründete Schottenkloster. Den Ammergau schenkte er 1179 dem Stift Kempten. Aber Welf VI. war doch Schirmherr von Stift Rottenbuch und bediente sich der Unterstützung des Propstes Otto (1147-1183) aus dem Geschlecht der Grafen Neuburg-Falkenstein: er sollte ihn nach Italien begleiten und ihn bei Papst Alexander III. im 1159 mit Kaiser Friedrich Barbarossa ausbrechenden Kirchenstreit unterstützen. Wieder große Namen! Papst Alexander hatte Zutrauen zu dem Rottenbucher Propst und übertrug ihm Vollmachten für die Beendigung des Schismas. Auch Patriarch Udalrich II. von Aquileja, ein Verwandter, rief Otto zu sich und übertrug ihm die Propstei Erbendorf in Kärnten. Die lange Abwesenheit ihres Propstes mißfiel den Chorherren in Rottenbuch, und auch bei Welf VI. fiel Otto in Ungnade. Nach dem Frieden von Venedig 1177 konnte er nach Rottenbuch zurückkehren, wo er am 6. März 1182 starb.

Mit dem Tod Welfs VI. 1191 und dem Aussterben des süddeutschen Zweiges der Welfen trat Friedrich Barbarossa (1122-1190) aus dem Haus der Staufer als neuer Herr auf den Plan. Das Ammer-Lech-Gebiet besaß er seit dem Kauf 1179. Er hatte nun die Schutzvogtei über Rottenbuch und Steingaden inne. Der große Friedrich II. (1194-1250) stellte am 27. März 1222 im italienischen Venafro eine Bestätigungsurkunde für Propst Wittego II. aus. Die Schutzvogtei übertrug Friedrich seinem Sohn Heinrich VII. (1211-1242) beziehungsweise dessen Ratgeber Bischof Siegfried von Augsburg. Im konkreten Fall kümmerten sich Amtleute der staufischen Verwaltungen in Kaufbeuren und Steingaden um die Rottenbucher Angelegenheiten. 1224 wurden sowohl Rottenbuch wie Steingaden wegen zu ungestümer Rodungstätigkeit zurechtgewiesen. Weitere Neubrüche wurden verboten.

Rottenbuch brauchte Pfarrzehnten aus fruchtbaren Gegenden. Im 12. Jahrhundert bekam das Stift die Pfarreien Oberauerbach bei Mindelheim, Schwabmühlhausen, Gräfelfing, Unfriedshausen sowie St. Lorenz in Schongau, die Papst Honorius unter den Schutz des heiligen Petrus stellte. In das Jahr 1244 fällt der Erwerb der Güter in Schwifting bei Landsberg sowie das Patronatsrecht der Pfarrkirche. Schwigger II. von Mindelberg übergab in Gegenwart König Konrads IV. Propst Wittego das Patronatsrecht und den Maierhof zu Egelhofen bei Mindelheim. Obwohl von den Staufern abhängig, konnte Rottenbuch in dem Streit zwischen Kaiser und Papst die Gunst Innozenz IV. (1243-1254) gewinnen, der 1249 trotz des Interdikts die Erlaubnis zum Gottesdienst erteilte. Dieser Papst beauftragte Propst Anno mit Missionen, wie 1253 mit den Klöstern Polling und Steingaden zu einer Schlichtung in dem Streit Bischof Konrads I. von Freising mit Herzog Otto II. von Baiern.

Die Zeiten waren bewegt. Die Regierung von Propst Konrad I. mit Schenkungen befreundeter Adelsfamilien war ein enormer Zugewinn für das Kloster. Aber auch der einfache Bauer galt etwas und konnte seine Neubrüche für sich nützen. Allerdings störten adelige Herren mit ihren Fehden. Gebhard von Tölz etwa, ein Stiefbruder Bischof Konrads I. von Freising brannte Güter des Klosters in Peißenberg nieder. Als Ersatz übergab er am 5. Mai 1259 einen Hof in Garmisch an Rottenbuch.

Ein feierlicher Tag war der 21. April 1263, als sich der Staufer Konradin in Rottenbuch aufhielt und nach dem Beispiel seines Großvaters Friedrichs II. ein Schutzprivileg für die Chorherren ausstellte. Propst Konrad wurde eine hohe Ehre zuteil, weil er in der Urkunde als Hofkaplan bezeichnet wurde. Auch Graf Meinhard II. von Görz, der Konradins verwitwete Mutter Elisabeth geheiratet hatte, schreibt in einer Urkunde über die Schenkung eines Weinhofs in Lana von Propst Konrad als „unserem lieben Kaplan“. Desweiteren wird die eigene Gerichtsbarkeit des Stifts bestätigt, die die gesamte Hofmark einschließt. Außerdem wird verfügt, daß Rottenbuch auch mit königlichen Lehen beschenkt werden darf. Schließlich erwähnt ein weiteres Diplom Konradins Neubrüche, Zeichen einer Rodungstätigkeit. Das gut ausgestattete Rottenbuch traf 1264/65 eine verheerende Brandkatastrophe. Am 30. Oktober 1266 starb Propst Konrad I. eines natürlichen Todes. Sein Namensvetter staufischen Geschlechts, der bedauernswerte Konradin, wurde 1268 auf dem Marktplatz in Neapel enthauptet. Eine Ära war zu Ende und eine kaiserlose Zeit brach an, die auch an Rottenbuch nicht spurlos vorüberging. Turbulente Jahrzehnte standen bevor.

III. Rottenbuch am Wendepunkt des Mittelalters

Nach Welfen und Staufern hatte es das Chorherrenstift mit den Wittelsbachern als neuen Landesherrn zu tun. Das sollte so bis zum Ende des Klosters 1803 bleiben. Nach Konradins Tod stritten die Wittelsbacher Brüder Heinrich VIII. und Ludwig II. um das Hohenstaufererbe im Ammer-Lech-Gebiet, aber Rottenbuch und Steingaden beharrten auf den Privilegien der Reichsvogtei, in einer Zeit ohne Reichsoberhaupt freilich ohne Wirkung. Erst König Rudolf von Habsburg bestätigte bei seinem Regierungsantritt 1274 alle Privilegien Kaiser Friedrichs II. Der Schutz Rottenbuchs wurde wieder dem Amtmann von Kaufbeuren übertragen.

Aber das Kloster verfiel in seinem inneren Gefüge. Propst Wernher (1277-1288) verschleuderte klösterlichen Besitz und machte Schulden. Auch die Chorherren suchten Wege eigener Versorgung, was der Disziplin schadete. Der fähige Propst Ulrich II. Peutinger aus der berühmten Augsburger Familie hatte Mühe, die geistliche Ordnung wiederherzustellen. Das gelang mit Hilfe Bischof Emichos aus Freising, der als Anerkennung 1298 die Inkorporation der Pfarrei Oberammergau genehmigte. Schon zuvor hatte der Abt des Stiftes Kempten, Konrad von Gundelfingen, 1295 um 70 Pfund Augsburger Münze Patronatsrecht und Stiftungsgüter der Kirche in Ammergau an Rottenbuch verkauft. Das Freisinger Domkapitel hatte zugestimmt.

Im Jahr 1300 übergab Bischof Wolfhard von Augsburg dem Kloster Rottenbuch die Pfarrei Schwabmühlhausen und inkorporierte dem Stift die Pfarrei Schwifting, deren Patronatsrechte Rottenbuch bereits besaß. Im Gegenzug erhielt das Domkapitel die Kirche von Ludenhausen, die Rottenbuch seit 1124 betreut hatte. Durch Steigerung der Einkünfte war die Wiederherstellung der Sitftskirche möglich. Zur gleichen Zeit löste sich das in Rottenbuch existierende Frauenkloster wegen ärmlicher Verhältnisse auf; mit ihren Mitschwestern aus Steingaden und Polling wurden sie Benediktinerinnen in Benediktbeuern.

Rückschläge blieben auch für die Chorherren nicht aus. In der Auseinandersetzung Ludwigs des Bayern mit Friedrich dem Schönen von Österreich wurden in den Jahren 1315 und 1319 Güter in Mindelheim und Landsberg schwer geschädigt. Ein großer Brand 1322, der zweite in der Geschichte des Klosters, brachte das Stift schier an den Abgrund. Auf die Bitte Propst Konrads II. um Hilfe stellte Ludwig der Bayer 14 Urkunden für Rottenbuch aus. 1326 bestätigte der Kaiser die Privilegien Konradins und definierte die Niedergerichtsbarkeit. Damit wurde Rottenbuch landsässig und verlor seinen Status der Reichsunmittelbarkeit, der ohnehin nicht mehr viel bedeutete. In einer Weisung vom 25. Februar 1329 an Pfalzgraf Rudolf von Kaiser Ludwig, der sich in Pisa aufhielt, befreite er Rottenbuch für drei Jahre von allen Steuern. Pfalzgraf Rudolf bestätigte Ludwigs Handveste und sicherte dem Kloster seinen Schutz zu. Dieses wurde seinerseits gegenüber den Untertanen zur Ordnung gerufen, indem am 27. Dezember 1329 ein Pfändungsverbot erging. Den Untertanen wiederum wurde 1331 die Landflucht verboten, was den Wegzug nach Schongau ausschloß. 1339 erfolgte eine Erneuerung dieses Befehls.

Die überregionale Bedeutung Rottenbuchs zeigte sich auch durch gute Beziehungen zu den Tiroler Landesfürsten. Im Jahre 1330 bestätigte Heinrich von Görz-Tirol, Herzog von Kärnten, die Privilegien Meinhards II., des Stiefvaters Konradins, und gewährte Zollfreiheit für die Weintransporte des Klosters, weil dort Gastfreundschaft gewährt werde und geistliches Leben blühe. Die kostbare Fracht aus den Weingütern in Haslach bei Bozen, Lana und Tscherms erfolgte mit 98 Rossen; entsprechend zahlreich muß man sich die Fuhrwerke vorstellen. Zum Dank feierten die Chorherren jeden 19. Dezember einen Gedenkgottesdienst für die Mitglieder des Hauses Österreich. Aber auch das Andenken an Kaiser Ludwig den Baiern wurde in Rottenbuch hochgehalten.

Das 14. Jahrhundert hatte mit ihm erfolgreich begonnen und ging gut weiter: die Pröpste Heinrich II. (1326-1336), Konrad III. (1336-1339) und Ulrich III. Sternheim (1339-1350) packten tatkräftig an. Das 1322 durch Feuer zerstörte Kloster wurde wieder aufgebaut. Seit Ende des 13. Jahrhunderts wurden in Rottenbuch die Märtyrer Primus und Felician verehrt, die 1299 neben Maria, Petrus und Paulus Patrone des Klosters sind. Propst Ulrich III. Sternheim erbaute auch das Hospital neu, dessen Kapelle 1345 dem Hl. Geist und dem Heiligen Vitus geweiht wurde.

Veränderungen gab es im Ammergauer Pfarrbereich: Ettal wurde 1343 ein eigener Sprengel, Kohlgrub erhielt 1356 eine Wochenmesse, die ein Rottenbucher Chorherr versah. Das geschah auch in dem nach Ammergau gehörenden Bayersoien.

Die Jahrhundertwende brachte für Rottenbuch neue Unruhe: der Krieg der Herzöge Stephan II. und Friedrich gegen Augsburg 1372/73 sorgte für großen Schaden im ganzen Umland, so auch in den nach Rottenbuch gehörenden Pfarreien. 1388 brannte Schwabmühlhausen vollständig nieder. Aber auch in der Hofmark kam es zum Streit. Die Bauern beschwerten sich bei Herzog Johann über Propst Heinrich III. Meilinger, der sie mit Abgaben überforderte. 1393 ermahnte die herzogliche Verwaltung den Propst, 1403 erging ein Appell an die Bauern. Ursachen der Zwiestigkeiten waren soziale Spannungen. Dahinter stand die Lockerung der Bindung der Lehensleute an das Kloster, die ihre Güter nur freistiftsweise hatten, während in Ammergau und Peiting Kaiser Ludwig IV. das Erbrecht eingeführt hatte. Die Hussitenkriege (1420 – 1437) sorgten für Verwirrung, dazu kamen zwiespältige Propstwahlen im Kloster, Fehden Adeliger mit dem Kloster und Raubzüge Krimineller. 1413 überfielen 1.400 Tiroler die Hofmark, plünderten und brandschatzten. Als am Abend des 13. Juli 1417 der Turm, sozusagen der Leuchtturm des geistigen Gebäudes in sich zusammenstürzte, schien Rottenbuch am Ende.

IV. Begegnung des Niedergangs mit der Klosterreform des 15. Jahrhunderts

Ecclesia semper reformanda wurde am Ende des Mittelalters und der frühen Neuzeit ein bestimmendes Thema. Reformanstöße aus dem Stift Raudnitz in Böhmen gelangten über Neunkirchen und Langenzenn in Franken nach Kloster Indersdorf bei Dachau. Die Münchner Herzöge Wilhelm III. und Albrecht III. machten Indersdorf zum Musterkloster. 1419 verbrüderte sich Rottenbuch mit Indersdorf, 1426 übernahm es dessen Statuten. Erfreulich für Rottenbuch war die Inkorporation der Pfarreien Steindorf und Oberigling bei Landsberg in das Stift.

Eine besondere Förderung des guten Klostergeistes fand unter Propst Georg Neumair (1431-1472) statt. Er führte das Stift zu neuer Blüte. Propst Neumair hatte den Gesamtblick auf die Kirche, wenn er die vom Konzil von Basel erhobene Forderung der Reform der Kirche an Haupt und Gliedern 1431 umzusetzen gedachte. Unter dem Protektorat Herzog Wilhelms III. und des Freisinger Generalvikars Johannes Grünwalder verfolgte er dieses Postulat. Das Konzil hatte weniger Erfolg, weil es an den Häuptern fehlte. Propst Georg Neumair wurde für seine Bemühungen vom Konzil mit dem Recht der Inful, also dem Tragen der Mitra, 1442, und des Stabes 1446 ausgezeichnet. In zeitgenössischen Urkunden ist die Rede von besonderer Zuneigung Herzog Albrechts III. für Rottenbuch wegen seiner herausragenden Stellung, des Besuches vieler Gläubiger und eines vorbildlichen geistlichen Lebens nach der Ordensregel des heiligen Augustinus. Im Jahr 1449 schloß Rottenbuch mit 22 Klöstern Gebetsverbrüderungen; später folgten weitere. Eine hervorragende Schreibstube sorgte auch für einen entsprechenden Buchbestand in der Bibliothek: mit Bartholomäus Textor und Caspar Bränz hatte das Kloster begabte Kalligraphen. Der Chorherr Anselm Mannhardt, der im 18. Jahrhundert gelebt hat, erwähnt zwei schöne Meßbücher aus dem Jahr 1440.

Im 15. Jahrhundert kam es immer wieder zu Bedrohungen von außen. So wütete im Ammergau die Räuberbande Peck und Posser. Am 30. November 1451 wurde der Rottenbucher Pfarrvikar Johannes Kolb in Oberammergau ermordet, sein Nachfolger Erasmus beraubt und geschlagen. Bei Wurmansau starben drei Pilger eines gewaltsamen Todes. Aus den Quellen wissen wir, daß Caspar Geyger im Rottenbucher Klosterhof von Räubern ermordet wurde. 1469/70 schaltete sich noch einmal das Münchner Hofgericht in die Auseinandersetzung des Klosters mit den Untertanen ein.

Zurück zu Erfreulicherem. Propst Georg mühte sich sehr um die Wirtschaft des Klosters und baute viel, was ein strenges Haushalten erforderte. Der 1417 zerstörte Turm wurde 1439 über dem alten wuchtigen Sockel errichtet. Eine Inschrift über dem Zugang zum Turm (Bild 6 und 7 Gesamteindruck und Detail) hat dieses denkwürdige Ereignis bis heute festgehalten:

„Anno millesimo quattrocentesimo trigintanovesima edificata est hec turris per venerabilem patrem georium newmair prepositum huius cenobii“ – ‚Im Jahre des Herrn 1439 ist dieser Turm erbaut worden durch den ehrwürdigen Vater und Herrn Georg Neumair, Propst dieses Klosters‘. Entstanden ist auch der Westflügel des Konventgebäudes mit der Prälatur und dem Maierhof mit der Zahl 1455 am Türbogen (Bild 8 Türsturz). Die Spitzbogen am Turm und am Maierhof zeigen bereits den Wandel an, wir sind in der späten Gotik angekommen. In diesem Stil wurde auch die romanische Stiftskirche umgebaut, die durch zwei Brände in Mitleidenschaft gezogen worden war. Meister Hansen ließ die alte Anlage mit Tuffmauern des Querhauses und der Seitenschiffe bestehen, aber der lichte Chor und das hohe Gewölbe zeigten klar die Formensprache der Gotik (Bild 9). Im Jahr 1466 wurden Chor und Seitenschiffe eingewölbt. Am 13. und 14. August 1468 wurden die drei Altäre konsekriert. Der Architekt Meister Hansen verstarb am 10. Februar 1472 in München und wurde im südlichen Querschiff Rottenbuchs beigesetzt. Welche Wertschätzung spricht aus diesem Akt für den Baumeister.

Als im selben Jahr wie Meister Hansen auch Propst Georg Neumair verstarb, folgte auf ihn Petrus Teikscher, der den Umbau der Stiftskirche zum Abschluß brachte. Am 27. Oktober 1477 konsekrierte Weihbischof Johannes von Freising die acht Altäre des Langhauses. 1478 erwarb der Propst eine große Glocke für den Turm, die bis 1804 in Funktion war. Teikscher erweiterte auch die Kirche des heiligen Ulrich für die Hofmarksleute. Es blieb aber nicht nur beim äußeren Kirchenbau, der Propst mühte sich auch um die innere Verfassung. Bischof Sixtus von Freising beauftragte 1478 den Archidiakon von Rottenbuch, mit dem Propst von Indersdorf die Augustinerchorherrenstifte des Bistums Freising zu visitieren. Am 24. März 1480 starb Petrus Teikscher eines frühen Todes.

Sein Nachfolger Propst Johann Messerschmidt (1480-1497) sorgte für angemessene Ausstattung der kirchlichen Neubauten. Im Presbyterium der Klosterkirche ließ er ein Hochgrab für die Reliquien der heiligen Binosa, einer Gefährtin der heiligen Ursula, errichten. Beim Abbruch des gotischen Lettners im 17. Jahrhundert wurde allerdings auch dieses Hochgrab entfernt. Für Rottenbuchs Pfarrkirche St. Ulrich ließ der Propst 1484 von Meister Gabriel Maleßkircher einen Hochaltar machen. Derselbe faßte 1487 auch die schöne Madonna, die noch heute in Rottenbuch zu bewundern ist. Schließlich ließ Propst Johannes das Hospital erneuern und die St. Veits-Kapelle renovieren, die einen dritten Altar bekam.

Administrativ änderte sich unter Messerschmidt insofern etwas, als die Güter der Hofmarksuntertanten neu verpachtet wurden. Mit dieser Reform wurden 1486 weitere Salbücher angelegt, auch Güter zugekauft. Im Inneren des Konventes gab es Schwierigkeiten, da bei einer Visitation 1484 die Rückholung der Chorherren von den auswärtigen Pfarrstellen gefordert wurde, aber doch die Rechte des Klosters durch die Päpste Innozenz VIII. und Alexander VI. bestätigt wurden, vor allem die Berechtigung, Priester an den inkorporierten Pfarreien anzustellen. Hier ist die Urkunde Papst Alexanders VI. von 1492 von Bedeutung. Schließlich gab es noch Verbrüderungen mit Oberaltaich 1484, Bernried 1487, Dießen 1488 und St. Georg in Augsburg 1489.

Die Bibliothek wurde durch die Schenkung kirchen- und zivilrechtlicher Codices durch einen Pfarrer Gogl erweitert, erhielt aber auch die Aesop-Fabeln von Aeneas Silvio Piccolomini und die Witze des Poggio Bracciolino, womit der Humanismus und die Renaissance Einzug in Rottenbuch hielten. Baulich hat die Renaissance an einer Stelle ihre Spuren hinterlassen, die ich Ihnen gleich verraten werde.

Heute am Johannesfest 2023 wollen wir die geschichtliche Betrachtung mit Propst Johann Messerschmidt beschließen, der 1497 resignierte und 1506 am Fest Mariä Verkündigung starb. Auf seinem Grabstein findet sich die Bemerkung „emeritissimus praepositus“ – herausragender Propst. Er lenkte die Geschicke Rottenbuchs 17 Jahre lang.

Schluß

Angelangt in der frühen Neuzeit fällt unser Blick zum Abschluß noch einmal auf den Turm. Wir schauen hinauf, unser Blick geht über die beiden gotischen Fenster auf die Turmspitze mit ihrer markanten Zwiebel aus der Zeit des Klassizismus, darunter ein mächtiger horizontaler Zahnfries, der um das Jahr 1500 angebracht wurde (Bild 8). Das romanische Tympanon ist zwar übermalt, aber dieser Fries der Renaissance hat die Jahrhunderte überdauert.  

In den letzten Jahren, besonders seit 2003, stand die Geschichte Rottenbuchs unter dem Vorzeichen der Aufhebung des Klosters. In diesen Ausführungen ging es um die Anfänge. Ohne Rottenbuchs Gründung hätten wir uns jetzt nicht hier eingefunden. Rottenbuch ist ein Ort, ein Raum, den Personen gefüllt haben und füllen. Das Christentum war 1073 zwar die bestimmende Religion, aber es bedurfte noch viel Arbeit, um es zu implementieren und weiterzugeben. Diese Aufgabe stellt sich der Kirche zu allen Zeiten und gerade heute wieder. Wie zu Beginn der Anfänge des Klosters Rottenbuch wird auch jetzt um die Wahrheit gerungen. Nehmen wir das Vermächtnis der früheren Chorherren, um weiter im Positiven an unserem geistlichen Haus zu bauen (Bild 9). Auch nach der Säkularisation wies und weist der Rottenbucher Kirchturm über das Land hin, wie auf dem Gemälde von Pischlach her aus dem Jahre 1840 zu sehen.

                                                                                                                     Johann Pörnbacher

Textnachweis:

Dem Vortrag liegen die Ausführungen von Jakob Mois aus dem oben zitierten Band, „Das Stift Rottenbuch im Mittelalter“, S. 9-25, zugrunde.